Seminarkonzept von Blue Engineering 

Was ist das Blue Engineering Seminar?

Das Blue Engineering Seminar ist ein interdisziplinär ausgerichtetes Lehrformat, das angehenden Ingenieur_innen und technikinteressierten Studierenden einen Perspektivwechsel ermöglicht. Im Zentrum steht die kritische Auseinandersetzung mit den sozialen und ökologischen Auswirkungen technischen Handelns. Dabei werden klassische Lehrstrukturen bewusst aufgebrochen: Das Seminar setzt auf Methodenvielfalt, Kooperation und ein hohes Maß an Eigenverantwortung. Die Teilnehmenden übernehmen nicht nur Verantwortung für ihren Lernprozess, sondern gestalten aktiv den Lehrprozess und wirken an der Weiterentwicklung des Seminars mit. Dieses studierendengetriebene Lehren/Lernen ist damit ein Modell für gemeinsames, demokratisches Lernen in der Hochschullehre.

Was ist das Ziel des Blue Engineering Seminars?

Das Seminar verfolgt das Ziel, zukünftige Ingenieur_innen dazu zu befähigen, ihre Rolle in gesellschaftlichen Transformationsprozessen bewusst wahrzunehmen und verantwortungsvoll zu gestalten. Sie lernen, die sozialen, ökologischen und ethischen Dimensionen technischer Entwicklungen zu erkennen und in ihrem Denken und Handeln zu berücksichtigen. Dabei geht es nicht nur um das individuelle Verstehen, sondern auch um kollektives, demokratisches Handeln und Gestalten – gerade auch im späteren Berufskontext. Die Studierenden erwerben daher im Seminar Orientierungswissen, ethisches Urteilsvermögen und konkrete Gestaltungskompetenzen, um technische Entwicklungen im Sinne einer nachhaltigen und solidarischen Gesellschaft mitzugestalten.

Welche Lernziele hat das Blue Engineering Seminars?

Das Seminar verfolgt fünf zentrale Lernziele, die auf eine umfassende persönliche und gesellschaftliche Entwicklung der Teilnehmenden zielen. Diese Ziele werden im Seminar nicht abstrakt vermittelt, sondern durch kooperative Prozesse, praktische Gestaltung und kontinuierliche Reflexion konkret erfahrbar gemacht. Die Studierenden erweitern dabei sowohl ihr Fachwissen als auch ihre Fähigkeit, in komplexen gesellschaftlichen Zusammenhängen verantwortungsvoll zu agieren. 

Die Studierenden

  1. reflektieren die gesellschaftliche Rolle technischer Entwicklungen und setzen sich kritisch mit deren sozialen, ökologischen und ethischen Dimensionen auseinander.
    1. entwickeln ein Bewusstsein für ihre persönliche Verantwortung im Kontext ihrer zukünftigen beruflichen Tätigkeit und lernen, diese Verantwortung aktiv wahrzunehmen.
      1. arbeiten gemeinsam mit anderen an einem geteilten Verständnis gesellschaftlicher Herausforderungen und erfahren, wie gemeinsames Handeln zu demokratischen Lösungen beitragen kann.
        1. erwerben 12 Gestaltungskompetenzen, die speziell auf das Seminar abgestimmt sind und auf die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) Bezug nehmen.
          1. gestalten das Seminar aktiv mit – sowohl inhaltlich als auch strukturell – und tragen so zur Weiterentwicklung von Lernkultur und Verantwortung in der Ingenieurausbildung bei.

            Was sind Bausteine im Blue Engineering Seminar?

            Bausteine sind das Herzstück des Seminars. Das Bausteinkonzept ist recht einfach: Bausteine sind 30- bis 90-minütige, klar strukturierte Lern-/Lehreinheiten, die gesellschaftlich relevante Themen im Kontext von Technik, Umwelt und Verantwortung behandeln. Dabei kommen vielfältige Methoden zum Einsatz: Rollenspiele, Talkshows, Stationenlernen, Diskussionsformate, Bilderbücher oder interaktive Spiele. Die Bausteine sind so konzipiert, dass sie von Nicht-Expert_innen durchgeführt werden können – der Fokus liegt auf Moderation, Partizipation und gemeinsamer Reflexion. Mittlerweile existieren über 150 frei zugängliche Bausteine, die stetig weiterentwickelt werden und auch außerhalb des Seminars Anwendung finden.

            Wie ist das Blue Engineering Seminar aufgebaut?

            Das Seminar gliedert sich in drei aufeinander aufbauende Phasen: Orientierung, Anwendung und Gestaltung, die jeweils etwa fünf Wochen dauern und sich damit über ein ganzes Semester erstrecken. In jeder Phase übernehmen die Studierenden schrittweise mehr Verantwortung für Inhalte, Methoden und die Lernkultur des Seminars. Diese dreiteilige Struktur schafft Raum für individuelles Lernen, kollektives Handeln und demokratische Bildungserfahrungen – und stärkt die Fähigkeit, technische und gesellschaftliche Fragen gemeinsam zu verhandeln und verantwortungsvoll zu gestalten.

            Orientierungsphase  Tutor_innen führen sechs festgelegte Grundbausteine durch, um die Teilnehmenden mit der Arbeitsweise, den thematischen Schwerpunkten und dem didaktischen Anspruch des Seminars vertraut zu machen. Dabei stehen Themen wie Technikbewertung, Verantwortung, Gender und Technik, das produktivistische Weltbild oder die gesellschaftliche Bedeutung von Technik einschließlich ihrer ökologischen und sozialen Auswirkungen im Mittelpunkt. Gleichzeitig werden erste Impulse zur Selbstreflexion und zur Zusammenarbeit in wechselnden Kleingruppen gesetzt.

            Anwendungsphase – In festen Kleingruppen übernehmen die Teilnehmenden die Durchführung eines bestehenden Bausteins. Sie bereiten diesen selbstständig vor, moderieren ihn für ihre Mitstudierenden und reflektieren anschließend gemeinsam mit der Gruppe und den Tutor_innen den Verlauf. Dadurch erweitern sie ihre methodischen und kommunikativen Fähigkeiten und lernen, komplexe Lernprozesse aktiv zu gestalten.

            Gestaltungsphase – Über das gesamte Semester hinweg entwickeln die Gruppen einen eigenen Baustein zu einem selbst gewählten Thema. Sie setzen diesen mit passenden Methoden um, führen ihn für andere durch und dokumentieren ihn umfassend zur späteren Wiederverwendung. Mehrstufiges Peer- und Tutor_innen-Feedback begleitet den Prozess und fördert die Qualität. Die eigene Bildungsarbeit wird damit nicht nur reflektiert, sondern konkret weitergegeben – ein Beitrag zur kontinuierlichen Weiterentwicklung des Baukasten von Blue Engineering.

            Wie werden die Teilnehmenden des Blue Engineering Seminars bewertet?

            Die Bewertung erfolgt in Form einer Portfolioprüfung, bestehend aus vier gleich gewichteten Komponenten (je 25 %). Die einzelnen Elemente stärken nicht nur die individuelle Auseinandersetzung mit den Inhalten, sondern auch das kollektive, produktive Handeln in Gruppen.

            Lernjournal  Individuelle Reflexion nach jeder Sitzung. Es dient der Vertiefung des Gelernten, der Verknüpfung mit persönlichen Erfahrungen und der Dokumentation eigener Lernprozesse.

            Durchführung eines bestehenden Bausteins  Kleingruppen führen einen vorhandenen Baustein durch – inklusive Planung, Moderation und Nachbereitung.

            Entwicklung eines eigenen Bausteins  Jede Gruppe entwickelt ein neues, innovatives Lehr-/Lernformat, das ein relevantes Thema adressiert und zur Weiterverwendung dokumentiert wird.

            Dokumentation des eigenen Bausteins  Die ausgearbeiteten Bausteine werden so aufbereitet, dass andere sie vollständig nutzen und weiterentwickeln können – inklusive didaktischer Anleitung, Materialliste und Reflexionsfragen.

            Wer kann am Blue Engineering Seminar teilnehmen?

            Das Seminar richtet sich primär an angehende Ingenieur_innen, steht jedoch auch Studierenden anderer Fachrichtungen offen – etwa aus den Sozial-, Planungs- oder Geisteswissenschaften. Technische Vorkenntnisse sind nicht erforderlich. Entscheidend ist das Interesse an gesellschaftlich relevanten Fragen rund um Technik, Nachhaltigkeit und Verantwortung. Die Vielfalt der Teilnehmenden ist ausdrücklich gewünscht – sie schafft den Raum für interdisziplinäres Lernen, neue Perspektiven und gemeinsame Visionen.

            Wer bietet das Blue Engineering Seminar an?

            Das Blue Engineering Seminar wird in der Regel von geschulten Tutor_innen an den Hochschulen durchgeführt, die selbst am Seminar teilgenommen haben und nun andere anleiten. Hierdurch wird der studierenden-getriebene Charakter von Blue Engineering unterstrichen. Unterstützt werden sie von einer verantwortlichen Lehrperson (z. B. Professor_in oder Lehrbeauftragte_r). Wer ein Seminar an einer neuen Hochschule etablieren möchte, kann auf eine umfassendes Starthilfe zurückgreifen – sowohl in digitaler als auch in analoger Form. Dieses enthält alle benötigten Materialien und Anleitungen, um direkt loslegen zu können. Bei Bedarf unterstützt das Netzwerk erfahrener Seminarverantwortlicher den Einstieg durch kollegiale Beratung.

            Wo wird das Blue Engineering Seminar bereits angeboten?

            Das Blue Engineering Seminar findet regelmäßig an mehreren Hochschulen statt, darunter die TU Berlin, HTW Berlin, TU Delft, HS Düsseldorf, TH Köln, Uni Rostock und HS Ruhr West. Es ist im Wahlpflichtbereich unterschiedlicher Studiengänge verankert und wird mit 5 bis 6 ECTS-Punkten bewertet. Die Kurse umfassen in der Regel 25 bis 100 Teilnehmende. Über 4.000 Studierende haben das Seminar bereits durchlaufen. Die große Bandbreite der Hochschulen zeigt, dass das Konzept flexibel und erfolgreich in verschiedenen Kontexten einsetzbar ist.

            Wie kann ich das Seminar an meiner Hochschule anbieten?

            Das Blue Engineering Seminar ist komplett modular aufgebaut und dadurch besonders anpassungsfähig. Mit dem Starthilfepaket lässt sich ein Seminar schnell und unkompliziert umsetzen – ob im digitalen Raum, als Blockseminar oder über das gesamte Semester hinweg. Interessierte Lehrende können das bestehende Material nutzen, eigene Schwerpunkte setzen und das Seminar an lokale Gegebenheiten anpassen. Besonders hilfreich ist der kollegiale Austausch im Netzwerk: Wer neu einsteigt, erhält auf Wunsch intensive Begleitung – vom ersten Planungsschritt bis zur konkreten Durchführung.

            Wie wird das Seminar evaluiert?

            Die Wirkung des Blue Engineering Seminars wird regelmäßig qualitativ und quantitativ evaluiert – mit durchweg positiven Ergebnissen. Die Evaluationsergebnisse machen deutlich: Das Seminar vermittelt weit mehr als Wissen. Es stärkt das Bewusstsein für Verantwortung, fördert die Fähigkeit zur Mitgestaltung – und öffnet Räume für demokratisches Lernen im Kontext technischer Bildung.

            Empfehlungsrate  Rund 90 % der Teilnehmenden würden das Seminar weiterempfehlen. Etwa jede zweite Person nimmt aufgrund einer persönlichen Empfehlung teil – ein deutliches Zeichen für die nachhaltige Relevanz des Formats.

            Qualitative Entwicklung – Die von Studierenden entwickelten Bausteine überzeugen durch inhaltliche Tiefe, kreative Zugänge und eine starke gesellschaftliche Relevanz. Viele befassen sich mit Themen, die im regulären Studium kaum Raum finden. Besonders motivierend wirkt die Aussicht, dass die eigene Arbeit künftig von anderen genutzt wird – ein Beitrag zur gemeinsamen Bildungslandschaft.

            Quantitative Kompetenzentwicklung – In der Selbsteinschätzung zu den 12 Gestaltungskompetenzen zeigen die Studierenden durchgängig deutliche Lernzuwächse. Im Durchschnitt verbessern sich die Werte um rund einen Punkt auf einer sechsstufigen Skala – ein Zeichen für die nachhaltige Wirkung auf Denken, Haltung und Handlungsfähigkeit.

            Wissenschaftliche Begleitung – André Baier beschreibt in seiner Dissertation zum Blue Engineering Seminar die Entwicklung dessen Lernziele basierend auf den 12 Subkomeptenzen von Gestaltungskompetenz und einer entsprechenden qualitativen und quantitativen Evaluation des Seminar – Education for sustainable development within the engineering eciences. Design of learning outcomes and a subsequent course evaluation